Bettruhe bei drohender Frühgeburt?
Strenge Bettruhe bei einer drohenden Frühgeburt war früher üblich – heute nicht mehr. Ärzte und Hebammen sind sich einig: das lange Liegen kann eine frühzeitige Geburt meist nicht verhindern, sondern führt im Gegenteil oft zu weiteren Komplikationen.
Karoline hat vor der Geburt ihrer Tochter Laura acht Wochen im Bett oder auf dem Sofa gelegen. Sie hatte vorzeitige Wehen und die Ärzte hatten Sorgen, dass es zu einer Frühgeburt kommen könnte. Die Wehen begannen in der 30. Schwangerschaftswoche. Von da an sollte Karoline nur noch aufstehen, wenn sie zur Toilette musste. Der ganze Tag bestand aus Liegen, Liegen, Liegen. Die Zeit hat sich Karoline mit Lesen, Fernsehen und Stricken vertrieben. Langweilig war es aber trotzdem. Langweilig und zermürbend, weil Karoline so viel Zeit hatte darüber nachzudenken, was alles passieren könnte, wenn ihr Baby zu früh zur Welt kommt.
Zu Beginn der 36. Schwangerschaftswoche war es dann schließlich so weit. Die Geburt ihres Kindes war nicht mehr aufzuhalten. Karoline brachte Laura immer noch fast vier Wochen zu früh zur Welt. Zum Glück war die Kleine kerngesund.
Heute ist Laura 27 Jahre alt und selbst Mutter. Während der Schwangerschaft mit ihrem Sohn hatte sie ebenfalls vorzeitige Wehen. Doch anders als bei ihrer Mutter wurde ihr nicht geraten, den Rest der Schwangerschaft im Liegen zu verbringen. Die Ärzte empfahlen ihr, sich ganz normal zu bewegen, lediglich starke körperliche Belastung und Stress zu vermeiden.
Strenge Bettruhe gehört der Vergangenheit an
Obwohl laut amerikanischer Daten immer noch rund jeder fünften Schwangeren bei drohender Frühgeburt konsequente Bettruhe verschrieben wird, hat sich inzwischen das Bild doch deutlich gewandelt. Das Monate-im-Bett-Liegen bei vorzeitiger Wehentätigkeit gehört überwiegend der Vergangenheit an. „Strenge Bettruhe ist nicht mehr das Mittel der Wahl“, erklärt Manuela Rauer-Sell vom Deutschen Hebammenverband e.V.. Der Wandel setzte vor etwa zehn Jahren ein, als viele Untersuchungen und Studien bestätigten, dass sich ein frühzeitiger Geburtsprozess nicht durch Liegen aufhalten lässt.
Während man früher noch annahm, dass es reiche, allein die Schwerkraft auszuschalten, weiß man heute, dass das nicht ausreicht, eine Fehlgeburt zu verhindern.
Statt Liegen wird moderate Bewegung empfohlen, die auch dem Kind gut tut. Die richtige Dosis ist entscheidend.
„Frauen mit einer Neigung zur Frühgeburt sollten trotzdem daran denken, kürzer zu treten und alle zusätzlichen Belastungen zu vermeiden“, sagt Rauer-Sell. Schwere Anstrengungen und ein umfangreiches Arbeitspensum sind nicht ratsam. Auch Frauen mit weiteren Kindern im Haus sollten darauf achten, sich nicht zu überlasten.
Liegen schwächt Körper und Seele
Das Dauerliegen ist jedoch tabu. Zumindest in den allermeisten Fällen. Denn das Liegen kann auch erhebliche Komplikationen mit sich bringen.
Wer sich nicht bewegt, ist einem erhöhtem Thromboserisiko ausgesetzt. Dieses ist in der Schwangerschaft sowieso schon gegeben. Das Liegen führt außerdem zu einem Knochen- und Muskelabbau. „Frauen, die in der Schwangerschaft viel gelegen haben, sind bei der Geburt zusätzlich geschwächt. Ihnen fehlt die Power und Kraft für die Geburt“, weiß Rauer-Sell.
„Ich habe den Großteil der Schwangerschaft im Bett verbracht“, berichtet Sonja. „Nach der Geburt war ich so schlapp, dass ich mich nicht traute, meinen Sohn auf dem Arm zu tragen, aus Angst, meine Beine könnten mir wegsacken.“
Neben körperlichen Auswirkungen macht sich die strenge Bettruhe bei vielen Frauen auch seelisch bemerkbar. Die amerikanische Forscherin Judith Maloni, die für die Case Western Reserve University in Ohio tätig ist, bestätigt, dass Schwangere bei langen Ruhephasen unter Einsamkeit leiden und schneller Depressionen ausbilden. Durch die mangelnde Ablenkung und das reizarme Umfeld kreisen die Gedanken zudem andauernd um den eigenen Körper und die Gesundheit des Kindes.
Leichte Wehen sind normal
Die typischen Warnzeichen einer Frühgeburt sind frühzeitige Wehen. „Jedoch sollte man wissen, dass jede Frau bereits vor der Geburt Wehen hat. Die Gebärmutter übt sozusagen. Kleine Kontraktionen sind durchaus normal. Wenn diese jedoch stärker werden, anhalten und starke Schmerzen auftreten, sollte Rat eingeholt werden.“ In diesem Fall ist eine Untersuchung notwendig. Durch eine vaginale Untersuchung oder Ultraschallaufnahmen kann beispielsweise gemessen werden, ob sich der Gebärmutterhals durch die Wehen verkürzt hat. Dann kann ein Wehenhemmer verabreicht werden, bestätigt Irene Hösli, Abteilungsleiterin für Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin am Universitäts-Frauenspital Basel.
Diese werden jedoch nicht mehr so häufig eingesetzt wie früher, da sie Nebenwirkungen wie Übelkeit, Muskelzittern und Herzrhythmusstörungen hervorrufen können.
Ursache für frühzeitige Wehen
Die Ursachen für verfrühte, starke Wehen können unterschiedlich sein. Sowohl Überlastung, Stress und genetische Dispositionen gehören dazu, ebenso Vaginalinfektionen oder Infektion im Genitaltrakt. Auch Rauchen oder übermäßiger Alkoholgenuss können frühzeitige Wehen auslösen.
Laut WHO liegt die Zahl der Frühgeburten in Deutschland bei etwa 9,2 Prozent, Tendenz steigend. Der Grund für die steigenden Zahlen sind die immer älter werdenden Gebärenden, aber auch die steigenden Mehrlingsgeburten. Künstliche Befruchtungen und Kinderwunschbehandlungen nehmen zu und ermöglichen späte Schwangerschaften, die wiederum häufig Risikoschwangerschaften sind oder zu Mehrlingsschwangerschaften führen.
Frühgeburten – mäßig oder extrem früh
Dank der heutigen medizinischen Möglichkeiten der Neonatologie haben sich die Überlebenschancen für Frühgeburten deutlich verbessert. Während noch vor ein paar Jahrzehnten selbst mäßig frühe Frühgeborene stark gefährdet waren, können heute schon viele extrem früh geborene Babys gerettet werden. Die Überlebenschance bei Frühgeborenen ab der 28. Schwangerschaftswoche liegt bei 95 Prozent.
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Text: Andrea Krahl-Rhinow