Homeoffice – Chancen und Risiken neuer Arbeitsformen

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Zukunft Homeoffice? Über Chancen und Risiken neuer Arbeitsformen

Nicht wenige von uns arbeiten seit März deutlich mehr von Zuhause aus als je zuvor. Manche genießen die wegfallenden Pendelstrecken, die bessere Work-Life-Balance und sie haben sich inzwischen wenigstens einen praktischen Arbeitsbereich improvisiert. Andere sehnen sich zurück ins Büro. Ihnen fehlen Struktur, Selbstdisziplin oder soziale Kontakte. Welche Auswirkungen hat die pandemiebedingte Revolution unserer Arbeitswelt für den Einzelnen? Wie nachhaltig beeinflusst sie unsere Gesellschaft und Lebenswelt?

Arbeitsminister Hubertus Heil ist Mitte November von seinem Rechtsanspruch auf Homeoffice abgerückt. Zu groß waren die Widerstände der CDU und der Wirtschaft gegen seinen Gesetzesentwurf, der Arbeitnehmern das Recht auf 24 Tage Heimarbeit im Jahr einräumen wollte. Stattdessen plädiert er nun für einen Anspruch auf einen Dialog mit dem Vorgesetzten, der nur mit plausibler Begründung die Arbeit von Zuhause aus ablehnen darf. „Ähnlich verhält es sich in den Niederlanden, wo es ein angebliches Recht auf Homeoffice gibt. In Wirklichkeit haben Arbeitnehmer aber nur das Recht zu fragen und eine begründete Antwort zu bekommen”, erklärt Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut in Stuttgart.

Sie leitet das Team „Zusammenarbeit und Führung” und forscht zum Thema „Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen”. Sie bezweifelt, dass allgemein gültige Regelungen für Unternehmen in Bezug auf Homeoffice sinnvoll seien. Regelungen sollten stattdessen in die Betriebe vor Ort und in die Hand der Betriebsräte gegeben werden. Ob Homeoffice wirklich passend sei, müsse im Einzelfall entschieden werden.

Entgrenzungsprophylaxe

Nicht jede Persönlichkeit sei dafür geschaffen, nicht mehr ins Büro zu gehen. Jeder sei anders strukturiert, könne sich besser oder schlechter selbst disziplinieren. In ihrem Blog gibt sie Tipps zur „Entgrenzungsprophylaxe“, um ein Verschwimmen von Privatleben und Arbeit möglichst vorzubeugen. Sie empfiehlt feste Arbeitszeiten und konsequente, geplante Pausen: „Es ist wichtig, dass man sich Zuhause auch Strukturen schafft. Zur Zufriedenheit trägt nicht gerade bei, wenn man mittags am Computer schnell ein Brötchen verschlingt. Ebenso wichtig ist es, abends ein Ende zu finden.“ Wegfallende Arbeitswege, die oft auch zum Abschalten dienten und das Trennen von Privatsphäre und Arbeit erleichtern würden, könnte man beispielsweise durch Sport ersetzen. Führungskräfte sieht sie in der Verantwortung, ihre Mitarbeiter im Auge zu behalten. Den ein oder anderen müsse man vielleicht nach geraumer Zeit fragen ob er nicht doch wieder ins Büro zurückkommen wolle.

Arbeitgeberperspektive

Peter Halbauer, Head of Lead Buying LA EMEA bei Lapp-Kabel hat mit der Umstellung auf Homeoffice zunächst positive Erfahrung gemacht. Es hat alle „kalt erwischt”. So erinnert er sich an einen Kollegen, der anfangs an dem Gartentisch gearbeitet hat, aus Mangel an einem eigenen Büro. Über die Produktivität kann er sich allerdings nicht beklagen. Seines Erachtens arbeiten prinzipiell zuverlässige und selbstdisziplinierte Kollegen auch von Zuhause aus effizient. Denen, die sich gerne „verzetteln” würden, würde das im Büro auch passieren. Er sieht aber auch die Gefahr der Entgrenzung bei einigen seiner Kollegen. Manchen falle es schwer, sich zu disziplinieren und sich feste Aarbeitszeiten zu setzen. Solche würden dann um Mitternacht noch wichtige E-Mails schreiben und könnten nicht sonderlich gut abschalten. Er bedauert, dass private Gespräche in der Cafeteria wegfallen würden. Irgendwie fehlt jedoch die Kommunikation über Privates.

Die Sorge um die Vereinsamung Einzelner ist generell eines der größten Bedenken bei der Frage nach mehr Homeoffice. Hofmann empfiehlt, nicht zu defizitorientiert an die Sache heranzugehen. Man müsse bei der Umstellung auf digitales Arbeiten viel ausprobiert. Ein Kaffeekränzchen oder Feierabendbier online ersetze vielleicht nicht die reale Begegnung, sei aber immer noch besser als nichts.

Auswirkungen auf Familie

Die Umstellung auf das digitale Arbeiten wirkt sich massiv auf Familien aus. Sofern die arbeitende Person einen einigermaßen ruhigen, abgeschirmten Arbeitsplatz im Haus hat, kann Homeoffice Entspannung ins Familienleben bringen. Gerade mit kleinen Kindern beginnt der Tag schon entspannter, wenn die Eltern nicht zu einer festen Zeit am Arbeitsplatz sein müssen. Vor allem die Väter dürften, zumal mehr Frauen in Teilzeit arbeiten, mehr Zeit mit dem Nachwuchs verbringen. Lästige Pendelwege fallen weg. Studien belegen jedoch, dass Männer und Frauen das Potenzial der Heimarbeit unterschiedlich nutzen würden. Während Männer dazu neigten, mehr Zeit in die Arbeit zu investieren, würden Frauen sich mehr um Haushalt und Familie kümmern. Damit hilft flexibles Arbeiten zwar bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, es kann zugleich aber auch die klassische Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern festigen oder sogar verstärken.

Traditionelle Rollenmuster

Die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, betrachtet die Erfahrungen aus der Pandemie besonders kritisch. Sie befürchtet einen grundsätzlichen Rückfall in traditionelle Rollenmuster. Sie konstatiert sogar, dass Homeoffice während Corona Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung bereits um Jahrzehnte zurückgeworfen habe.

In einem Interview auf RND.de (Redaktionsnetzwerk Deutschland) im Juli 2020 schlussfolgert sie, dass Heimarbeit zur „Verheimelichung” von Frauen führe, die sich dann wieder vermehrt um den Haushalt kümmern würden. Die Kinder würden lernen, dass Mama diejenige sei, die sich kümmern würde und die gestört werden dürfe, während sich der Vater in das einzig vorhandene Arbeitszimmer zurückziehe. Sie betont, dass es höchste Zeit für ein gesellschaftlichen Wandel sei. Bezahlte und unbezahlte Arbeit müsse zwischen den Geschlechtern gleichmäßiger aufgeteilt werden. Nur dann würde sich auch die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern schließen. Väter müssen dazu gebracht werden, einen größeren Anteil der Elternzeit zu übernehmen. Auch das könne sich positiv auf das Rollenverständnis auswirken.

Positive Role-Models

Nicht alle WissenschaftlerInnen kommen zu einer so negativen Prognose. Ein aktueller Beitrag des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DWI) auf der Basis des Sozio-ökonomischen Panels sieht immerhin sieben Prozent der Familien als „Hoffnungsträger”, in denen sich die Arbeitsaufteilung durch die Krise positiv verändern könnte insofern, dass die Männer immerhin nachweislich mehr Care-Arbeit übernehmen würden als zuvor. Dies sei vor allem in solchen Familien der Fall, in denen Mann und Frau ein modernes Rollenverständnis hätten, der Arbeitsumfang und das Gehalt nicht zu weit auseinanderliegen würden. Christina Boll und Simone Schüller, Autorinnen des Beitrags, gehen außerdem davon aus, dass während der Krise nicht nur in der privaten, sondern auch in der betrieblichen Sphäre Lernprozesse stattfinden könnten. Väter im Homeoffice, nicht selten in Führungspositionen, könnten als „positive role models” ihre Erfahrungen mit der unbezahlten Sorgearbeit an ihre Kollegen weitergeben und somit einen kulturellen Wandel in den Betrieben vorantreiben.

Zukunft der Arbeitswelt

Dass die Erfahrungen während der Corona-Krise unsere Arbeitswelt nachhaltig beeinflussen werden, ist unumstritten. „Ich gehe davon aus, dass die, die es können, künftig 2, vielleicht sogar 3 Tage von zuhause aus arbeiten werden“, vermutet Hofmann. Daraus ergebe sich unweigerlich auch eine soziale Ungleichheit, da nicht jeder im Homeoffice arbeiten könne. Die Soziologin Allmendinger prognostiziert sogar eine merkliche Spaltung der Gesellschaft. Eine Vermischung unterschiedlicher Schichten finde ohnehin kaum noch statt. Wenn diese nicht mehr in der S-Bahn oder Cafeteria aufeinandertreffen würden, fielen wichtige Begegnungsorte weg.

Trend zum Homeoffice?

Auf der anderen Seite wirken sich wegfallende Pendelstrecken positiv auf unser Klima aus und erhöhen die Lebensqualität. Positive Stimmen sprechen von einem möglichen Wiederaufleben mancher Stadtzentren, wenn die Menschen weniger im Büro arbeiten würden. Hofmann befürchtet aber, dass unser öffentlicher Nahverkehr reduziert werden könnte. Was, wenn aus Bürogebäuden bezahlbarer Wohnraum würde? Positive und negative Prognosen halten sich die Waage. Wir werden erst in der Zukunft beurteilen können, was der Trend zum Homeoffice wirklich mit uns macht.

Jutta Allmendinger regt in einem Interview in der Welt.online an, man müsse, vorausgesetzt Schulen und Kindergärten seien wieder zuverlässig geöffnet und die Eltern befänden sich im Homeoffice, überlegen, ob man nicht die Arbeitszeiten reduziere. Sie begründet dies mit der Annahme, dass viele zuhause produktiver seien und gleichzeitig viele soziale Begegnungen wegfallen würden, wie beispielsweise Geburtstagsfeiern im Büro. Für solche Erfahrungen würden die Menschen mehr Freizeit brauchen. Wir dürfen gespannt sein, wie das flexible Arbeiten in den nächsten Jahren ausgestaltet wird.

Text: Isabelle Steinmill

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